Störgedanken und die Rolle des Körpers
Wie wir unsere Gedanken zur Ruhe bringen können
Eigentlich war es wegen der Gedanken, dass ich mich im Corona-Jahr 2020 entschied, die Ausbildung zum Mentaltrainer anzufangen. Die Lockdowns hatten uns plötzlich unerwartet viel frei verfügbare Zeit beschert, die ich gerne zum Lernen von selbstgewählten Musikstücken nutzen wollte. Aber irgendwie wollte das nicht klappen.
Gedanken schweifen ab
Meine Gedanken ließen sich nicht bei der Musik halten, sondern schweiften ständig ab zu Themen dieser verrückten Außenwelt, in der nichts mehr so war wie gewohnt. Ich „übte“ zwar täglich meine Musikstücke, aber gefühlt blieb nichts in meinem Kopf und wenig in meinen Fingern. Ich war frustriert. War ich schlicht zu alt, um noch zu lernen wie damals? Oder ließ sich da etwas machen?
So meldete ich mich kurzerhand für die Mentaltraining-Ausbildung an einer Fernschule an und vertiefte mich in den neuen Lernstoff. Neugierig auf Lösungsansätze und fasziniert von Erkenntnissen der Neurologie und Psychologie und dem komplexen Zusammenspiel von Nervensystem und Gehirn stürzte ich mich auf mein neues Thema und – konnte wieder erfolgreich lernen!
Was denken wir den ganzen Tag?
Mein Wissensdrang galt also den Gedanken. Was denken wir den ganzen Tag, was macht das mit uns und wie können wir die Richtung unserer Gedanken beeinflussen? Zu meiner Überraschung begann mein Lehrgang mit Körperarbeit. Zuerst Entspannungsübungen, dann Übungen aus der Kinesiologie, die einen erstaunlichen Einfluss auf unsere Gehirntätigkeit und damit auf unser Denken haben. Ich war fasziniert zu lesen, dass unser Körper Emotionen speichert und dass wir diese unbewusst über unsere Körperhaltung abrufen aber auch gezielt beeinflussen können. Dieses Phänomen heißt Embodiment und wird auch beim Musizieren (leider überwiegend unbewusst) für Ausdruck und Gestaltung genutzt.
Embodiment nutzen, um Stress zu reduzieren
Als ich später die Methode PEP (mit dem E für Embodiment) erlernte, erlebte ich erstaunliche Szenarien, in denen Emotionen durch Klopfen, Streicheln und Gestik ausgeglichen, abgebaut und gelöst werden. PEP ist eigentlich eine Psychotherapie-Methode. Da PEP-Interventionen zeitgleich auf körperlicher und kognitiver Ebene stattfinden, sind PEP-Sitzungen außerordentlich wirkungsvoll und führen sehr schnell zu Erkenntnissen und Lösungen rund um die bearbeiteten Themen. Im Bereich Auftritts- und Prüfungsangst reichen oft bereits ein oder zwei Sitzungen, um ein gelöstes und freies Auftreten (wieder) zu ermöglichen.
PEP-Interventionen zur täglichen Anwendung
Ich nutze PEP-Interventionen täglich. Das Sprechen einer standardisierten Selbststärkung bei gleichzeitigem „Kurbeln“ oder Klopfen dauert wenige Sekunden, erzielt jedoch überraschend gute Ergebnisse. Zum Beispiel kann es helfen, den Ärger über einen Mitmenschen oder eine Situation ad acta zu legen, um sich wieder konzentrieren zu können. Oder die Angst vor einem Lagenwechsel wird kurz beklopft und danach stressfrei weiter geübt. Teilnehmende meiner Seminare erzählten mir auch, dass sie einfach jeden morgen „eine Runde klopfen“, um aktiv und unbeschwert in den Tag starten zu können.
Embodiment ist immer Teil des aktiven Musizierens. Indem wir mit Körperbewegung Töne produzieren, lassen wir Emotionen Klang werden und unseren Körper sprechen. Gehen Körper und Emotionen ganz in der Musik auf, beginnt der Zauber eines einzigartigen Musiziererlebnisses.
Die Rolle des Körpers beim Musizieren
Egal welches Instrument wir spielen, oder ob wir singen, der Körper ist beim Musizieren immer Teil unseres Instruments. Im Gesang spielt Körperarbeit eine große Rolle, denn da ist unübersehbar der Körper das Instrument, mit dem musiziert wird. Im Blasinstrumenten-Unterricht wird im Allgemeinen zumindest über stabiles Sitzen und Stehen, über Bauchstütze und Atemtechnik gesprochen. Anders bei Streich-, Tasten oder Percussion-Instrumenten. Atmen, Stehen oder Sitzen werden hier oft als selbstverständlich vorausgesetzt. Dabei spielen sich auch diese Instrumente leichter, wenn dem Körper Aufmerksamkeit geschenkt und er durch bestimmte Wahrnehmungs- Beweglichkeits- und Kräftigungsübungen in eine spielbereite Verfassung gebracht wird.
Die reinigende Wirkung von Körperarbeit
Ganzheitliche Körperarbeit ist also eine wesentliche Voraussetzung für freies und ausdrucksvolles Musizieren, egal mit welchem Instrument. Mit jeder Bewegung, die wir ausführen, wird ein Speicherprozess im Gehirn ausgelöst. Hier wird die Bewegung gekoppelt an die Emotion gespeichert, die mit ihr einhergeht. Daher sind Körperhaltung und Emotion auch so eng miteinander verbunden. Wenn wir bewusst und konzentriert mit unserem Körper arbeiten, trainieren wir unsere Tiefensensibilität, und diese ist für klangvolles und geschmeidiges Musizieren unabdingbar. Das bewusste Wahrnehmen unseres Körpers wiederum wirkt stark ausgleichend auf unseren mentalen Zustand. So kommt es, dass die Körperarbeit unsere Gedanken beruhigt.
Vor dem Üben stattfindende Körperarbeit gleicht einer morgendlichen Dusche und anschließendem Ankleiden mit frischer Wäsche. Alles wird sauber und neutral. „Altlasten“ des Vortags werden abgelegt, bevor mit neuen Speicherprozessen begonnen werden kann. Eine sinnvolle Morgenhygiene kann eine PEP-Klopfrunde sein, ein paar kinesiologische BrainGym-Übungen, oder mit innerer Bewegungsvorstellung unterstütztes bewusstes Gehen oder Stehen. Anschließend kann der Körper aktiviert und in einen leistungsfähigen (durchlässigen) Zustand gebracht werden.
Mentale Vorbereitung des Übens
Durch zehn bis 15 Minuten Körperarbeit wird die Aufmerksamkeit wirksam auf die Tiefe der Körperwahrnehmung geleitet und damit die Konzentrationsfähigkeit erheblich angeregt. Mit kurzen Einheiten von innerer Klang- und Melodievorstellung kann man sich anschließend auf das Musizieren mental einstellen. So wird bereits der erste am Morgen gespielte Ton in einer zufriedenstellenden Qualität erklingen, und einem erfolgreichen Arbeitstag steht nichts mehr im Weg. Kleine Erfolgserlebnisse dieser Art steigern den Selbstwert und regen das Belohnungssystem des Körpers an. Folge davon ist eine Ausschüttung von Hormonen wie Dopamin, Serotonin und Endorphin, den Gegenspielern von Stress und Angst.
Fazit: Die bewusste Vorbereitung unseres Körpers auf den Musizier-Tag steigert die Konzentration, führt zu besseren Übe-Ergebnissen, wirkt Stress entgegen und ist damit förderlich für den Selbstwert, das Allgemeinbefinden und die Gesundheit.