Autor: Felicia Terpitz

Musizieren ohne Schmerzen

Wenn wir Musik machen, sind immer unser Körper, unsere Seele und unser Geist an dieser Tätigkeit beteiligt. [..] Immer aber ist es unser Körper, von dem wir erwarten, dass er Bewegungen findet, die unsere innere Stimme zu Klang werden lassen.

Ulf Prelle, Leichtigkeit

Musizieren ohne Schmerzen

Schmerzen sind ein Hilferuf unseres Körpers, ein Zeichen für Missbalance zwischen Beanspruchung und Erholung. Die Ursache von Schmerzen liegt oft nicht an der Stelle, an der wir sie wahrnehmen. Manchmal dauert es Jahre bis uns jemand die Augen öffnet für den Zusammenhang zwischen Körper und Seele, und der Weg dahin kann quälend sein. Die beste Spieltechnik der Welt wird uns nicht vor Schmerzen schützen, solange wir unter Zeit- und Leistungsdruck üben, unseren Körper unter der Last des Alltags krümmen und den Energiefluss unseres Körpers blockieren.

Etwa seit meinem 20. Lebensjahr habe ich in unregelmäßigen Abständen große Einbrüche durch Sehnenscheidenentzündung, Tennisellenbogen, Nackenblockaden und chronische Rückenschmerzen erlebt. Diese Schmerzen tauchten besonders gerne in Situationen auf, in denen man sie am wenigsten brauchen kann: im Finale eines großen Wettbewerbs, im Probejahr, vor großen Solokonzerten. Leider habe ich eine starke Skoliose und damit eine besondere Disposition für solcherart Probleme. Inzwischen nehme ich meine krumme Wirbelsäule jedoch als Auftrag wahr, mich mehr als andere um die Erhaltung meiner Beweglichkeit zu kümmern. In jahrelangen Behandlungen habe ich erfahren, wie wichtig es ist, seinen Körper zu kennen und zu wissen, wie viel man ihm zumuten kann und wie man ihn fit und elastisch hält. Allerdings habe ich viele Jahre gebraucht, um zu lernen, dass es besser ist, dem Körper Zeit zu widmen, solange er gesund ist und nicht erst dann, wenn die Schmerzen nicht mehr auszuhalten sind. Heute bin ich weitgehend schmerzfrei bzw. kann ich mich durch spezielle Übungen innerhalb kurzer Zeit von Schmerzen befreien.

Was ich weitergeben möchte:

– kümmere dich jeden Tag um deinen Körper

– sei sanft und sorgsam zu ihm

– bewege dich, wann immer du die Möglichkeit hast

– lerne deinen Körper wahrnehmen und reagiere auf seine Signale

– schule dein Bewusstsein für das Innere deines Körpers

– wenn du musizierst, nimm deinen Körper als Teil deines Instruments wahr

– lasse deine Spieltechnik aus dem Körper heraus entstehen

– trainiere, ohne den Körper zu belasten

meine fünf Säulen für schmerzfreies Musizieren

– Ausgleichssport: mindestens zweimal pro Woche eine halbe Stunde Ausdauersport wie Joggen, Radfahren, Schwimmen, Walken o.ä. (wichtig: erhöhter Puls und Schwitzen)

– Übungen für die Körperwahrnehmung (Feldenkrais, BodyScan, Alexandertechnik, Atemtechnik, Yoga…), Beweglichkeitsübungen, Energieübungen

– Auf der Körperwahrnehmung basierende Spieltechnik, unterstützt durch Mentaltechniken (Vorstellung der Leichtigkeit und Durchlässigkeit beim Spielen)

– Mentales Üben als Übetechnik ohne physische Beanspruchung des Körpers

Mentaltechniken zur Stressbewältigung

Musik und Sinn

oder wie ich zum Mentaltraining kam

Etwas d r ä n g t uns zum Musizieren,
t r e i b t uns zum Instrument und
f e s s e l t uns an dieses, etwas
n ö t i g t uns zu singen oder zu tanzen bzw. auch Musik hören zu wollen, gleich ob im häuslichen Rahmen oder im Konzertsaal.

Peter Röbke – VOM HANDWERK ZUR KUNST

In den letzten 14 Monaten habe ich mir oft die Sinnfrage gestellt. Die Sinnfrage in Bezug auf die Musik. Macht es noch Sinn, zu musizieren, wenn alle Konzerthäuser geschlossen sind? Seit meinem 5. Lebensjahr spiele ich Geige und wenig später habe ich angefangen, Klavier zu lernen. Zu Hause haben wir gesungen, in verschiedenen Zimmern zeitgleich unsere Instrumente geübt und miteinander Kammermusik gemacht. Um mich herum war immer Musik und ein Leben ohne Geigespielen für mich nicht vorstellbar.

Und plötzlich ist es still. Singen in der Öffentlichkeit verboten, Orchester-Probenräume ähneln Hochsicherheitszonen und zum Wort Applaus haben wir das Geräusch bereits vergessen. Hat es da noch Sinn, weiter jeden Tag Geige zu spielen? Wird mein Musizieren je wieder einen Saal zum Toben bringen?

Mein vorletztes vor-Corona-Live-Konzert fand im Concertgebouw in Amsterdam statt. Es war ein wunderbares Programm mit einem hervorragenden Solisten und unserem (damals noch nicht) Chefdirigenten. Holländisches Publikum ist sehr enthusiastisch, und so wurden wir auch in diesem Konzert mit standing ovations gefeiert. Unvergessliche Konzerte, Gänsehautmomente, Stunden, in denen man die Welt um sich herum vergisst und sich mit seinen Mitspielern und dem Publikum eins fühlt. Müde und erfüllt kommt man von solchen Konzerten nach Hause und zehrt noch lange Zeit von diesem einzigartigen Gefühl des musikalischen Höhenflugs.

Letztes Jahr war alles anders. Im Bus die furchtbaren Nachrichten aus Bergamo, später erfuhren wir dann, dass es noch am selben Tag im Concertgebouw einen schlimmen Ausbruch der neuen Krankheit unter 100 Chormitgliedern gegeben hatte. Wir waren dem Grauen entkommen, aber was folgte, hat uns in eine graue Welt der Sinnlosigkeit gestürzt, von der wir noch immer hoffen, dass sie irgendwann ein Ende haben wird. Musik ohne Publikum – wer hätte das je für möglich gehalten!

Wie eine treue Freundin hat meine Geige mich durch die lange Zeit der Pandemie begleitet. Viele Stunden haben wir gemeinsam verbracht und wieder und wieder versucht, irgendeinen Sinn darin zu finden, dass wir ohne Konzerte und Ziele unendlich Zeit haben. Das war nicht immer leicht. Ich erwischte mich dabei, beim Geigespielen gedanklich Nachrichten zu wälzen und die Welt zu retten. Meine ständig kreisenden Gedanken ließen mich von Tag zu Tag mehr an meinen geigerischen Fähigkeiten zweifeln – bis ich eines Tages den Entschluss fasste, über das Lernen zu lernen. Auf dem Weg über das Studium neurologischer Fachbücher, eine Mentaltraining-Ausbildung und viele Stunden Tiefenentspannungs- und Wahrnehmungsübungen habe ich begonnen zu verstehen, was für eine fantastisch SINN-volle Tätigkeit Musizieren ist. Ja, Musik ist tatsächlich LEBENS-relevant.

Das Geigespielen genieße ich nun mehr als zuvor. Ich habe mir die Sinnfrage gestellt und bin bei den Sinnen angekommen. Ich mache Musik, weil ich es brauche, weil es mir guttut. Musik machen ist etwas Wunderbares. Sich in Klänge vertiefen, nach Harmonien suchen, Klang aus der Bewegung entwickeln, körperliche Entspannung hörbar machen, vielschichtige Gefühle durch Melodien zum Ausdruck bringen – das alles kann Musik, überall und losgelöst von der Verpflichtung, für andere und mit anderen zu spielen. In der sinnlosen Zeit von Kulturlockdown und social distancing habe ich in der Musik meine unwahrscheinlich tröstliche und wirklich sinnvolle Betätigung (wieder)gefunden.

Mentaltraining und Musik – beide Tätigkeiten beschäftigen sich mit den Sinnen, mit unserer Wahrnehmung, unserer Konzentration und der Einheit von Körper und Geist. Durch unser Instrument oder unsere Stimme wird beim Musizieren hörbar, wie wir uns fühlen, was wir wahrnehmen, wie unser Körper fühlt. Im Mentaltraining wiederum wenden wir Techniken an, die uns in unsere innere Welt führen, in eine Welt der Kreativität, der Träume und des bewussten Wahrnehmens. Wir lernen, was unser Gehirn braucht, um gesund zu bleiben, und wie wir mit unserem Denken positive Energien freisetzen können. Ein gutes Mentalcoaching fühlt sich an wie ein gelungenes Konzert. Etwas unbegreiflich Kraftvolles geschieht mit uns, Energien von zwei oder mehreren Personen verbinden sich, und wir fühlen uns stark und positiv. Je mehr ich durch das Mentaltraining über die Zusammenhänge von Körper und Psyche lerne, desto mehr verstehe ich, warum ich für mein eigenes Wohlergehen musizieren muss.

Kreativität ist wie Medizin für die Psyche. Jeder Mensch sollte seine Kreativität ausleben dürfen. Musik ist Lebenselexier, Wahrnehmungstraining, Körperschulung. Und wenn sich Musikunterricht als Vermittlung zwischen Innen- und Außenwelt versteht, als Medium, sich selbst auszudrücken, dann wird Musik vielen Kindern und Erwachsenen ein Instrument geben, um der Sinnlosigkeit des täglichen Lebens etwas entgegenzusetzen, der Sinn-losigkeit die entsteht, weil wir in der Hektik des täglichen Lebens vergessen wahrzunehmen, was uns eigentlich zu Menschen macht.